Potenziale und Chancen von Filmbildung in einer multikulturellen Gesellschaft
Mit Filmen interkulturelle Bildung in den Schulen fördern, die Empathiefähigkeit und Toleranz von Schüler:innen stärken, dafür setzt sich FILM+SCHULE NRW ein. Filme bieten die Möglichkeit, eigene Lebenserfahrungen mit denen anderer zu vergleichen und zu reflektieren, veränderte Perspektiven einzunehmen und Gefühle zu teilen. So können sie zu einem wertschätzenden Miteinander beitragen.
Aber wie genau muss Filmbildung in der Schule aussehen, um heterogenen Lerngruppen gerecht zu werden, und wie können Filme zur Aktivierung der Lernpotenziale speziell von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen genutzt werden? Erste Antworten auf diese Fragen lieferte die Initiative am 29. Oktober auf ihrer Fachtagung "Film ab für die Integration!" im Dortmunder U. Rund 100 Teilnehmer:innen diskutierten mit dem Team von FILM+SCHULE NRW und Expert:innen aus Wissenschaft, schulischer Bildung und der Filmbranche die Potenziale von Filmbildung in der Migrationsgesellschaft.
An eine launige Einführung ins Thema, bei der Kabarettist Abdelkarim nicht nur aus dem Nähkästchen plauderte, sondern den Finger so manches Mal auch bewusst in bekannte Wunden des Bildungssystems legte, schloss sich ein umfangreiches Tagungsprogramm mit wissenschaftlichem Impuls, Podiumsdiskussion und Foren zu unterschiedlichen Themenaspekten an.
Im Folgenden finden Sie eine Übersicht des Tagungsprogramms mit Informationen zu den einzelnen Programmpunkten sowie Referentinnen und Referenten und eine Bildergalerie. Zu weiteren Materialien rund ums Thema Filmbildung und Migration/Integration geht es hier.
Tagungsprogramm - Eindrücke und Materialien
Flyer und Infomaterialien der Veranstaltung
Flyer der Fachtagung (PDF, nicht barrierefrei)
Liste der Referentinnen und Referenten (PDF, nicht barrierefrei)
Mitmachaktion "Jetzt Du!"
Eröffnet wurde die Fachtagung mit einer besonderen Aktion: NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann präsentierte unter dem Motto "Jetzt Du!" Videoclips, in denen junge Migrant:innen ihre persönlichen Wege zu einer gelungenen Integration und erfolgreichen beruflichen Laufbahn vorstellen.
"Gerade der Blick auf die Schülerinnen und Schüler, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind und die noch kommen werden, ist noch zu oft geprägt durch das bloße Hervorheben ihrer Defizite", betonte Sylvia Löhrmann zur Einführung des Videoclipprojektes. "Wir alle wissen, jeder Mensch hat auch Potenziale. Diese heraus zu kitzeln, sie zu stärken, ist unser aller Aufgabe. Und wenn es uns gelingt, kriegt das irgendwie keiner mit. Also haben wir mal hingeschaut – und man muss noch nicht einmal genau hinschauen, um tolle Bildungskarrieren zu finden. Weisen Sie auf diese positiven Beispiele, auf diese Vorbilder hin", forderte sie alle Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf.
Impulsvortrag Schule in der Migrationsgesellschaft
Dr. Monika Riedel, Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Deutsch als Zweitsprache an der TU Dortmund, machte in ihrem wissenschaftlichen Impulsvortrag deutlich, mit welchen Anforderungen die Mediendidaktik in der Migrationsgesellschaft umgehen muss, und zeigte Lösungsansätze auf. "Durch individuelle Geschichten wird für die Schülerinnen und Schüler leichter erfahrbar, was es heißt, in einer modernen Einwanderungsgesellschaft den eigenen Weg zu gehen", stellte Monika Riedel heraus. "Die schulischen und außerschulischen Lebenssituationen, Vorerfahrungen, Vorstellungen und Wertorientierungen der Schülerinnen und Schüler können durch den Einsatz von FIlmen problemlos aufgegriffen werden."
Power-Point-Präsentation Impulsvortrag (PDF, nicht barrierefrei)
Podiumsdiskussion
Bei der Podiumsdiskussion kamen Experten aus Wissenschaft, Filmbranche und schulischer Bildung miteinander ins Gespräch und erläuterten, welche Chancen Filmbildung aus ihrer Sicht für eine multikulturelle Gesellschaft bietet, wie das Schauen oder Erstellen von Filmen zur Integration und zu einem friedlichen und wertschätzenden Miteinander beitragen können. Es wurde über gelungene Schulprojekte gesprochen, die als Anregung dienen können, über die Potenziale von Film als Bildmedium mit einer eigenen "Sprache" und über die Rolle der Komödie bzw. Satire, die schwierige, vorurteilsbehaftete Themen oftmals gut transportieren kann und durch gemeinsames, vergemeinschaftendes Lachen kulturelle Grenzen überwinden kann.
An der Podiumsdiskussion nahmen teil:
Silvya Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
"Den Beitrag, den Filmbildung in unserer Migrationsgesellschaft leisten kann, ist sehr hoch einzuschätzen. Komödien können durch aufklärerisch angelegte Überzeichnung Vorurteile abbauen, deshalb kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass ein Film wie '300 Worte Deutsch' in der Schule zum Einsatz kommen kann."
Züli Aladag, Regisseur
"Film ist eine Sprache, eine Ausdrucksmöglichkeit mit der sich Menschen unterschiedlicher Herkunft auch ohne Worte verständigen können. Das besondere Potenzial der Komödie ist, dass es erleichtert, miteinander über das Gesehene ins Gespräch zu kommen, denn ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man über etwas lachen kann, dann kann man auch darüber sprechen."
Lilay Huser, Schauspielerin
"Sprache ist meiner Meinung nach der Schlüssel zur Emanzipation. Wenn man in ein fremdes Land kommt und die Sprache nicht beherrscht, ist man irgendwie verloren und das kann ausgenutzt werden. Film bietet dann Ausdruckmöglichkeiten jenseits der Landessprache."
Kathrin Feldmann, Lehrerin am Eduard-Spranger-Berufskolleg Hamm
"Filmsprache ist die Sprache der Schüler - viel mehr als z. B. Lyrik. Und ein Film ist ein Produkt, das Schüler wertschätzen, bei dem es ihnen unangenehm ist, wenn es nicht gut wird. Deshalb ist Filmarbeit ein wichtiger Bestandteil meines Unterrichts."
Dr. Monika Riedel, TU Dortmund, Arbeitsstelle Deutsch als Zweitsprache
"Ich denke, ein Problem der deutschen Gesellschaft ist, dass wir alles übergeneralisieren und immer nur die Gruppe wahrnehmen, aber nie den Einzelnen. Filme bieten Identifikationsfiguren, bei denen Zuschauerinnen und Zuschauer häufig feststellen können, wie viele Gemeinsamkeiten sie eigentlich haben."
Irmgard Heitkemper-Nießen, Fachbereich Schule, Stadt Dortmund
"Filmbildung findet nicht nur in Form von Filmkonsum statt, sondern auch in Form von aktiver Filmarbeit. Selbst Filme zu machen ist für die jugendliche Migrantinnen und Migranten, die im Projekt ,Über sich hinaus wachsen' mitmachen, ein tolles Erlebnis, bei dem nicht nur schöne Kunstprodukte herauskommen, sondern die Kinder als Gruppe zusammenwachsen und ihre Geschichten erzählen können."
Markt der Möglichkeiten
Filmempfehlungen, Infobroschüren, Arbeitsmaterialien zum Einsatz im Unterricht und nicht zuletzt einen intensiven Austausch von Informationen, Ideen und Projektkoinzepten für die Filmarbeit mit jungen Migrant:innen gab es beim Markt der Möglichkeiten. Als Aussteller standen neben dem Veranstalter FILM+SCHULE NRW das LWL-Medienzentrum für Westfalen und das LVR-Zentrum für Medien und Bildung, die Bildungsmediathek NRW, das Landeskriminalamt NRW, Methode Film, die Filmothek der Jugend NRW, der Bundesverband Jugend und Film, der Jugendring aus Dortmund und das Katholische Filmwerk für Beratungsgespräche bereit.
Hier geht es zu den Internetseiten der Organisationen und Initiativen:
LWL-Medienzentrum für Westfalen
LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Landeskriminalamt NRW I Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes
Foren
Forum 1 - Migration im Film
Referentin Dr. Anja Wieber (Expertin für Film im Latein- und Geschichtsunterricht, ausgebildete Filmmoderatorin von FILM+SCHULE NRW im Kompetenzteam der Stadt Dortmund) stellte vom Stummfilm bis zum Heimatfilm historische und zeitgenössische Filme vor, die in unterschiedlichen Kontexten das Thema Migration thematisieren und ging den Fragen nach, welche Gründe es für die Migration z. B. von jüdischen Menschen im zaristischen Russland gab, wie die Flucht konkret aussah, z.B. wenn Tausende Menschen aus dem Hunsrück nach Brasilien mit dem Schiff emigrierten und wie sich die Migranten in ihrer neuen Heimat fühlten, auch wenn sie in einem Heimatfilm der 50er Jahre im Schwarzwald landeten. Dabei spannte Dr. Wieber immer wieder den Bogen zur aktuellen Situation von Flüchtlingen in Deutschland.
Forum 2 - Filme als "Türöffner" und Brücke zwischen Kulturen
Die drei Referentinnen stellten exemplarisch Filme verschiedener Genres und für verschiedene Altersgruppen vor, die sich für die Behandlung des Themas Migration und Integration besonders eignen.
Filme zum Thema Migration lassen sich mit unterschiedlichen Zielen einsetzen: Sie können für die Lage von Flüchtlingen sensibilisieren (z.B. "ALLES NEU – Ein Flüchtlingskind kommt an", ein Dokumentarfilm, der die die ersten Tage eines Jungen aus Afrika in Westeuropa einfühlsam miterleben lässt, (Infos unter www.methdoe-film.de) oder "Hoppet – der große Sprung ins Glück", ein Spielfilm, der die Geschichte zweier Brüder auf der Flucht erzählt und Empathie für unbegleitete Kinder und Jugendliche weckt.
Für den Einsatz in Willkommensklassen eignen sich Filme mit geringem Sprachanteil, z.B. der Kurzspielfilm "Schwarzfahrer" oder der Animationsfilm "City Paradise", der eine Fülle von Metaphern für Fremdheit und Vertrautheit anbietet (Infos www.methode-film.de).
Für die Auseinandersetzung mit politischen Themen in der multikulturellen Gesellschaft eignen sich informative Filme wie z.B. das Medienpaket "Mitreden!" des Landeskriminalamtes zu den Themen Islamfeindlichkeit, Islamismus und dschihadistische Internetpropaganda für die Arbeit mit Jugendlichen. Das Medienpaket kann kostenlos beim Landeskriminalamt NRW (Tel: 0211/939-0, E-mail: vorbeugung.lka@polizei.nrw.de) bezogen werden.
Forum 3 - Aktive Filmarbeit mit jungen Migrantinnen und Migranten
Die Macher und Veranstalter drei unterschiedlicher Filmprojekte zeigten Wege erfolgreicher Integrationsarbeit durch Filmbildung auf:
Regisseur Cem Arslan und Andreas Roshol vom Dortmunder Jugendring produzierten mit Jugendlichen aus ihrer Stadt einen Film, in dem das Schicksal von zwei Flüchtlingen im Mittelpunkt steht. Neben den besonderen Produktionsbedingungen und -herausforderungen fanden die Teilnehmer:innen des Forums die Anlage des Films als interaktives Projekt besonders interessant. Die Zuschauer:innen können nach einzelnen Szenen durch ein speziell erstelles DVD-Menü selbst entscheiden, welcher Person sie im Film weiter folgen möchten. Es werden also unterschiedliche Perspektiven angeboten und die Zuschauer:innen können selbst beeinflussen, wie und mit wem die Geschichte sich weiter entfaltet.
Weitere Informationen zu dem Projekt:
https://www.facebook.com/events/260155920844055
Kontakt zu Andreas Roshol: andreas.roshol@jugendring-do.de
Martin Husemann, Leiter des Medienzentrums Gütersloh, stellte das Projekt "GT-Clips" vor, in dem Schulen und Jugendgruppen für einen Tag eine medienpädagogische Begleitung bekommen, um einen kurzen Filmclip zu drehen. Dieses Projekt wird seit neun Jahren mit sehr positiver Resonanz mit jährlich ca. 42 Gruppen im Kreis Gütersloh umgesetzt. Vorgegeben wird ein Motto, für die Ideenfindung und Umsetzung sind die Gruppen dann selbst verantwortlich. Das Projekt ist so angelegt, dass während des Drehs möglichst jedes Kind einmal Kamerafrau/-mann, Tontechniker:in, Schauspieler:in etc ist. Gerade heterogene Schülergruppen nehmen vermehrt an dem Projekt teil und profitieren von dem Angebot. Auch in der Wahl der Themen und Gestaltung der gezeigten Geschichten wird immer wieder deutlich, dass sich die Kinder und Jugendlichen mit Migration, Integration und dem Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft beschäftigen.
Kontakt zu Martin Husemann: martin.husemann@gt-net.de
Im letzten Teil des Forums stellte Fabio Magnifico verschiedene Filmprojekte des medienpädagogischen Labors der Universität Bielefeld und der Universität Köln vor. So zeigte er unter anderem den Film "Typisch Halle", den Jugendliche mit Migrationshintergrund über ihre Heimatstadt gedreht haben und dabei auch die weniger vorzeigbaren Ecken nicht aussparten.
Zudem brachte er einen Koffer mit einfachen technischen Lösungen für aktive Filmarbeit mit und zeigte, mit welchen Geräten und Hilfsmitteln sich Filme kostengünstig und qualitativ recht hochwertig produzieren lassen.
Weitere Informationen zu dem medienpädagogischen Labor der Universität Bielefeld:
https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/erziehungswissenschaft/studium-und-lehre/einrichtungen/mpl/
Kontakt zu Fabio Magnifico: fabio.magnifico@gmail.com
Kurz und gut - Kurzfilme zum Thema Migration
Zum Abschluss der Tagung stellte FILM+SCHULE NRW ein aktuelles Projekt vor: Im Dezember wird die Initiative in Kooperation mit dem Bundesverband Jugend und Film (BJF) und der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW (dfi) unter dem Titel "Ich bin jetzt hier" eine Edition mit vier Kurzdokumentarfilmen zum Themenbereich Flucht und Migration veröffentlichen. Die Filme werden für Lehrkräfte aus NRW kostenlos über die Bildungsmediathek NRW sowie über den Verleih der kommunalen Medienzentren zur Verfügung stehen. Außerdem wird es passendes Unterrichtsmaterial geben.
Einen der vier Kurzfilme – "Iman – Leben nach der Flucht" – präsentierte FILM+SCHULE NRW den Tagungsteilnehmer:innen vorab.